Europäische Journalisten Föderation

Europa braucht den ­Journalismus


Mit einem Manifest stemmt sich die EJF gegen Einschränkungen der Medienfreiheit
11. April 2019, Renate Schroeder

Europa braucht den Journalismus: So heißt das Manifest, das die Europäische Journalisten-Föderation (EJF) im Vorfeld der Wahlen zum nächsten Europäischen Parlament verabschiedet hat (Link siehe Kasten). Mit acht Aktionspunkten versuchen wir – mithilfe unserer Mitgliedsorganisationen in den EU-Ländern – die Kandidatinnen und Kandidaten mit den Themen vertraut zu machen, die für Journalistinnen und Journalisten wichtig sind: Presse-und Medienfreiheit, Medienvielfalt, Quellenschutz, Diversität in den Redaktionsräumen, Rechte von freien Journalisten, Sicherheit von Journalisten, finanzielle Nachhaltigkeit des Journalismus, Urheberrechte und mehr.

Gemeinsame Ziele

Das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger ­zurückgewinnen, die zunehmende Desinforma­tion bekämpfen, die Demokratie in allen EU-Mitgliedsstaaten sichern und stabilisieren: Diese Ziele verfolgen auch viele europäische Abgeordnete – bisher noch in der Mehrheit. In der Legis­laturperiode 2014-2019, die im Mai endet, hat die EJF – gemeinsam mit Institutionen und Orga­ni­sa­tionen wie den europäischen Presseverbänden, der Euro­päischen Rundfunkanstalt (EBU), Reporter ohne Grenzen oder dem Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) – im Euro­päischen Parlament einen Partner ­gefunden, um die Medienfreiheit, um soziale und kulturelle Rechte zu verteidigen. Es verabschiedete ­Ausnahmen für Journalisten bei der Richtlinie über Geschäftsgeheimnisse, einen verstärkten Whistle­blowerschutz, eine (hoffentlich) faire Vergütung für Autoren und Journalisten bei der viel umstrittenen Urheberrechts­direktive sowie verstärkte soziale Rechte.

Allerdings erfolgt die Gesetzgebung in der EU nicht durch das Parlament, sondern ist Aufgabe des „institutionellen Dreiecks“ aus EU-Kom­mission und -Parlament sowie dem Ministerrat, in dem die Ministerpräsidenten der Mitglieds­staaten das Sagen haben. Im sogenannten Trilog wurden durch den Ministerrat viele dieser Ini­tiativen so verwässert, dass das Ergebnis oft nicht mehr den Interessen unserer Mitglieder entspricht. Trotzdem haben sich die Lobbyarbeit und die starke Unterstützung des Parlaments an vielen Stellen gelohnt, wie zum Beispiel die Whistleblower-Direktive zeigt, die gerade verabschiedet wurde. Nun kommt es auf die jeweilige nationale Umsetzung an, ob Whistleblower sich künftig direkt an die Presse wenden können, wenn ­gewisse Bedingungen erfüllt sind.

Wachsender politischer Druck

In den vergangenen Jahren haben sich die Bedingungen für Journalisten in Europa erheblich verschlechtert. Vier Journalistinnen und Journalisten wurden 2018 innerhalb der EU ermordet (in Malta, der Slowakei, Dänemark und Bulgarien), das hat es noch nie gegeben. Und dann sind da immer noch circa 150 Journalistinnen und Journalisten, die in der Türkei hinter Gittern ­sitzen. Auch darüber hinaus ist der Druck auf Journalistinnen und Journalisten in Europa gewachsen, insbesondere der politische Druck. Der Rechtsruck und die Zunahme populistischer Parteien – nicht nur in Ungarn oder Polen, sondern auch in Italien und Österreich bis hin zum hohen Norden mit den „Wahren Finnen“ oder den „Schwedendemokraten“ – schlagen sich auch in Angriffen auf den unabhängigen Journalismus nieder.

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2017 hat der Europarat eine Studie über Bedrohung und Einschüchterung von Journalisten veröffentlicht. Danach sind Journalistinnen und Journalisten zunehmend Bedrohungen und Gewalt ausgesetzt, werden juristisch verfolgt und zu ­Gefängnisstrafen verurteilt. Vor allem von psychischer Gewalt berichteten die 940 Journalisten, die in der Studie befragt wurden. Weit mehr als jeder zweite Befragte gab an, das in den vergangenen drei Jahren erlebt zu haben. Ebenfalls mehr als die Hälfte berichtete von ­Angriffen im Netz, von Vorwürfen der Parteilichkeit, persön­lichen Angriffen und Beleidigungen. Das führt zu Angst und Selbstzensur.

Zugleich schränken Staaten unter dem Vorwand nationaler Sicherheitsbedenken Medien, einschließlich des Internets, zunehmend ein. Eine beispiellose Medienkonzentration sowie das Fehlen neuer Finanzierungsmodelle lassen die ­Medienvielfalt schwinden und beschränken auch die Unabhängigkeit der Journalistinnen und Journalisten. Die alarmierende Situation zeigt sich auch an der großen Zahl von Ver­letzungen der Medienfreiheit, die die EJF, die Interna­tionale Journalisten-Föderation (IJF) und andere zivilgesellschaftliche Organisationen erfasst haben. Seit der Europarat vor vier Jahren die Plattform zum Schutz von Journalisten eingeführt hat, haben die genannten Organisationen insgesamt 535 Warnmeldungen abgegeben.

Der jüngste Jahresbericht des Europarats, „Demo­kratie in Gefahr: Bedrohungen und Angriffe auf die Medienfreiheit in Europa“ (Democracy at risk: Threats and attacks against media ­freedom in Europe), zeichnet denn auch ein verstörendes Bild. In vielen Ländern schützt Straffreiheit rou­tinemäßig diejenigen, die für Gewalt­verbrechen ­gegen Journalistinnen und Journalisten verantwortlich sind. Der rechtliche Schutz für die ­Betroffenen wurde nach und nach geschwächt und verweigert. Die Medien haben immer engere Spielräume, um Regierungsbehörden und Mächtige zur Rechenschaft zu ziehen.

Prekäre Lage für freie Journalisten

Nachrichtenmedien auf der ganzen Welt verlassen sich für ihre Berichterstattung zunehmend auf freiberufliche Journalistinnen und Journalisten, Fotografen und Videojournalisten sowie auf sogenannte Fixer. Viele dieser Freelancer arbeiten ohne die Unterstützung und Schulung der Medien in besonders prekärer Situation. Des­wegen sind sie besonders anfällig für Unterdrückung, Missbrauch und willkürliche Behandlung, einschließlich juristischer Verfolgung. Ernsthaft bedroht sind viele freie Journalis­tinnen und Journalisten auch durch körperliche Übergriffe, insbesondere von rechten Parteien und Bewegungen.

In einigen europäischen Ländern dürfen freie Journalisten nicht Mitglied einer Gewerkschaft oder eines Berufverbands sein. Generell gilt: Je mehr es Richtung Ost- oder auch Südeuropa geht, umso prekärer ist die Lage für freie Journalistinnen und Journalisten. In vielen Ländern können sie nicht von ihrem Einkommen leben und sind gezwungen, Nebentätigkeiten aufzunehmen. Einige verlassen den Journalismus, ein Phänomen, was inzwischen in ganz Europa bekannt ist, auch in Deutschland und den skandinavischen Ländern.

Ein Hauptziel: Tarifliche Absicherung

Die Expertengruppe Freie der EJF, in der der DJV vertreten ist, hat ein Hauptziel: Tarifverträge für freie Journalisten, die nicht vom europäischen oder nationalem Wettbewerbsrecht in Frage gestellt werden. Einer Gleichbehandlung aller Beschäftigungsformen hat das Europa­parlament zwar schon zugestimmt, aber die ­Realität ist eine andere. Durch eine neue euro­päische Richtlinie sollen auch Beschäftigungsformen wie die freie Mitarbeit oder die Arbeit über digitale Vermittlungsplattformen besser geschützt werden.

Über die „Richtlinie über transparente und verlässliche Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union“ wurde kürzlich im Europäischen Parlament abgestimmt, sie hat aber im Ministerrat unter rumänischer Präsidentschaft bisher noch nicht den Segen der nationalen Mitgliedsstaaten erhalten. Durch die Richtlinie sollen Auftraggeber von Freien und Plattform-Arbeitern verpflichtet werden, sie vor Auftragserteilung über alle Vertragsbedingungen zu informieren. Auftraggeber dürfen Freien zudem nicht die Aufnahme weiterer Beschäftigungen verbieten, außer im Fall gravierender Gründe. Tarifvertragliche ­Regelungen werden explizit erlaubt.

Diese Gesetzesinitiative der Europäischen Kommission ist Teil der sogenannten Europäischen Säule sozialer Rechte, die von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker initiiert wurde. Obwohl alle Mitgliedsstaaten sie im November 2017 proklamiert haben, wurde noch nicht viel davon umgesetzt. Ähnlich sieht es mit den Themen Pressefreiheit und Medienpluralismus aus. Es ist zwar durch die EU-Charta der Grundrechte fest im europäischem Vertrag verankert, dient aber vor allem als Lippenbekenntnis vieler Politikerinnen und Politiker. Im vereinten Europa bleibt also viel zu tun.||

Credit photo: FREDERICK FLORIN / AFP

Ein Beitrag aus JOURNAL 2/19, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im April 2019.