Europäische Journalisten Föderation

Deutschland: neue Anwaltsstrategien schwächen die Pressefreiheit


Deutsche AnwältInnen versuchen zunehmend im Vorfeld Einfluss auf die Berichterstattung über ihre MandantInnen zu nehmen. Das ist das Ergebnis der Studie “Wenn Sie das schreiben, verklage ich Sie! Studie zu präventiven Anwaltsstrategien gegenüber Medien”, die am 08. August veröffentlicht wurde. Die von der Deutschen Otto-Brenner-Stiftung in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für Freiheitsrechte verfasste Untersuchung stellte fest, Rechtsabteilungen deutscher Medien erhalten durchschnittlich drei Warnungen vor einer Veröffentlichung pro Monat.

  • Die Strategie: “Presserechtliche Informationsschreiben”

Da AnwältInnen keine rechtlichen Mittel haben, die Veröffentlichung eines Artikels über ihre(n) MandantIn zu verhindern, greifen sie oft zu sogenannten “Presserechtlichen Informationsschreiben”. Durch den Hinweis auf finanzielle Risiken, die aus einer Veröffentlichung entstehen könnten, wird gezielt versucht, RedakteurInnen einzuschüchtern. Das ist vor allem bei InvestigativjournalistInnen der Fall, da diese dazu verpflichtet sind, Betroffene mit der Berichterstattung zu konfrontieren, bevor sie ihren Artikel veröffentlichen.

  • Neuer Trend: Strategische Kommunikation

Da Presserechtliche Informationsschreiben – insbesondere im Boulevardjournalismus – in der späteren Veröffentlichung häufig zitiert werden und den Imageschaden des/der KlientIn sogar noch erhöhen, weichen AnwältInnen neuerdings auf eine andere Taktik aus: strategische Kommunikation, um die Berichterstattung im eigenen Sinne zu beeinflussen. So bieten PresseanwältInnen zunehmend auch Public-Relations-Dienstleistungen an, um zum Beispiel über eine Anpassung des umstrittenen Artikels zu verhandeln oder die Geschichte mit eigenem Spin bei anderen Medien “durchzustechen”. 14 von 20 PresseanwältInnen gaben im Interview an, mittlerweile mit Kommunikationsberatungen zusammenzuarbeiten.

  • Reaktion der JournalistInnen: höhere Motivation, mehr Sorgfalt

Laut Studie führen die Schreiben seitens der JournalistInnen lediglich zu höherer Motivation und mehr Sorgfalt bei der Recherche. Dennoch empfinden 29 von 42 befragten RedakteurInnen PresseanwältInnen als “bedrohlich”. Während sich JournalistInnen durch besagte Briefe nicht davon abhalten lassen, eine Geschichte zu veröffentlichen oder bestimmte Themen aufzugreifen, sind es zunehmend deren Medienunternehmen, die aufgrund des rechtlichen Risikos zögern. Diese Einstellung wirkt sich auch auf Gerichtsprozesse nach Veröffentlichungen aus: Mehrfach berichteten die Befragten, dass ihre HerausgeberInnen aus finanziellen Gründen eher bereit seien, eine Unterlassungserklärung zu unterzeichnen, als Fälle vor Gericht durchzufechten. Dieser besorgniserregende Trend wird zusehends zur gängigen Praxis und schwächt die Pressefreiheit in Deutschland.

Die Studie wurde von Tobias Gostomzyk und Daniel Moßbrucker im Mai und Juni 2018 durchgeführt. Sie ist das Ergebnis einer Datenbankrecherche, einer Auswertung von Rechtsnormen und Urteilen, Interviews mit 40 JournalistInnen und 20 PresseanwältInnen, einer Online-Umfrage mit AnwältInnen und Daten aus 20 Medienrechtsabteilungen. Die gesamte Studie kann hier heruntergeladen werden.

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